Die Erkennung der Hüftgelenksdysplasie beim Junghund
- warum das Vor-Röntgen so wichtig ist
Dieter Müller
Hüftgelenksdysplasie
Die Hüftgelenksdysplasie (HD) des Hundes ist und bleibt trotz aller Zuchtselektion ein Dauerthema, das nicht wenige Tierbesitzer in Angst und Schrecken versetzt. Und das zu Recht. Die HD ist eine genetisch fixierte Erkrankung, die bei allen Hunden vorkommen kann: bei Kleinen und Großen, Mischlingen und Rassehunden. Auch die zuchtbuchmäßig attestierte HD-Freiheit der Elterntiere ist kein Garant dafür, dass der Nachwuchs über gesunde Hüftgelenke verfügt. Beteuerungen und Garantieversprechen von Züchterseite bieten den Käufern von Welpen nur eine trügerische Sicherheit. Das neue Tierkaufrecht hat deren Position gestärkt. Es gibt mehrere Urteile, die dem Käufer eines mit HD behafteten Junghundes Schadenersatz zusprachen, weil der Züchter für den erheblichen verborgenen Mangel zu haften habe. Doch Hand aufs Herz: Mittlerweile ist der niedliche kleine Welpe von damals längst zu einem fast ausgewachsenen Hund und Familienmitglied geworden; niemand brächte es fertig, ihn gegen Erstattung des Kaufpreises wieder beim Verkäufer abzugeben. Zumal sich dann die Frage stellte, was dieser mit ihm vorhat.
Ein hoffnungsvoller Junghund: HD oder nicht HD lautet die Frage
Schwierige Frühdiagnose der HD
In der Humanmedizin wird jeder Säugling kurz nach der Geburt per Ultraschall auf das eventuelle Vorliegen einer Hüftgelenksdysplasie untersucht (U 1). Durch entsprechende therapeutische Maßnahmen (Spreizhosen) kann die früh erkannte Hüftgelenksdysplasie in der Regel erfolgreich therapiert werden.
Röntgenbild der
Hüftgelenksdysplasie beim Säugling
Spreizschiene zur Therapie einer Hüftgelenksdysplasie beim Säugling
Leider können Welpen keiner solchen Frühdiagnostik unterzogen werden. Der Grund liegt weniger im Unvermögen der Tierärzte sondern darin begründet, dass im Gegensatz zum Säugling beim Welpen das Skelett nicht mehr rein knorpelig ist, sondern bereits Verknöcherungsherde besitzt. Und diese Knochenzonen stellen für den Ultraschall ein unüberwindliches Hindernis dar. Es gibt zwar die eine oder andere Studie, wie man die Frühdiagnose der HD beim Welpen mit dem Ultraschall stellen könne - praxisreif sind diese Verfahren noch lange nicht. Somit stellt sich die Frage, was die Tierbesitzer tun können um einen latenten Hüftgelenksschaden ihres Hundes frühzeitig zu erkennen. Hier gilt der Rat, dem Welpen und Junghund nicht seiner natürlichen Prägungs- und Sozialisierungsphase aus reiner Fürsorge zu berauben. Springen, Toben, Treppensteigen, Welpenspielstunde - alles ist erlaubt. Dennoch sollte jeder Tierbesitzer seinen Hund dabei beobachten. Verhält er sich anders als die Spielkameraden, will er nicht so springen, macht er früher schlapp, legt er sich hin oder tritt sogar eine Lahmheit auf? Dies alles können subtile Hinweise dafür sein, dass mit dem Hüftgelenk etwas nicht stimmt. Zu diesem Zeitpunkt sollte unbedingt tierärztlicher Rat eingeholt werden.
Einseitig ausgebildete Hüftgelenksdysplasie beim Hund (Pfeil)
Die Arthrose des Hüftgelenkes ist eine Spätfolge der HD
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Die Tierärztin oder der Tierarzt werden Ihren Hund nach einer sorgfältigen Allgemeinuntersuchung einer speziellen Lahmheitsuntersuchung unterziehen. Hierbei geht es vordergründig um eine Vorsorgeuntersuchung und den Ausschluss eines HD-Verdachts. Man sollte sich eines merken: Eine ernstzunehmende Diagnostik erfordert immer ein Röntgen der Hüftgelenke; und zwar unter einer kurzen Betäubung. Kein noch so begnadeter Experte vermag die Frühzeichen einer Veränderung im Sinne einer HD sicher zu ertasten oder von außen zu sehen. Vor der Narkose braucht man übrigens keine Angst zu haben. Es gibt heute sehr schonende und überaus sichere Verfahren einen Junghund kurzzeitig zu betäuben. Entweder wirken die intravenös gegebenen Narkosemittel, die übrigens auch in der Humanmedizin einsetzt werden, nur wenige Minuten oder deren Wirkung kann nach der Untersuchung mit einem Gegenmittel wieder aufgehoben werden. Der Hund ist nach der Untersuchung wieder wach.
Stabilität der Hüftgelenke
Als Hauptindikator für das Vorliegen einer Hüftgelenksdysplasie wird heute die Lockerheit des Hüftgelenkes beim Junghund aufgefasst, wobei es durchaus Rasseunterschiede gibt. Bereits im Alter von 4 - 6 Monaten können Unterschiede in der Stabilität der Hüftgelenke auftreten. Ist das Gelenk fest verbunden oder lässt sich der Oberschenkelkopf aus der Hüftgelenkpfanne herausdrücken (luxieren)? Das ist die Kardinalfrage. Solche Lockerheit lässt sich logischer Weise nur in Muskelerschlaffung feststellen, daher die eingangs erwähnte Notwendigkeit einer tiefen Sedation bzw. Hypnose. Bei lockeren Gelenken wird der Hund im Laufe seines Lebens in über 70 % der Fälle eine mittlere oder schwere HD mit nachfolgender Arthrose entwickeln. Bei Schäferhunden hat die geringste Lockerheit verheerende Auswirkungen auf das Hüftgelenk. Rottweiler hingegen tolerieren eine gewisse Lockerheit der Hüftgelenke (vermutlich wegen ihrer starken Bemuskelung) recht gut und entwickeln im Laufe Ihres Lebens keine Arthrose.
Extremform einer dysplastischen Hüfte mit Luxation der Oberschenkelköpfe und beidseitiger schwerer Arthrose
Sinn und Unsinn des Vor-Röntgens
In Hundesport und Züchterkreisen ist es Tradition, den Junghund im Alter von 4 - 6 Monaten Vor-Röntgen zu lassen um sarkastisch gesagt, die Spreu vom Weizen zu trennen. Bedauerlicherweise wird dabei häufig auf eine Sedation- oder Kurznarkose verzichtet, weil der Junghund das auf den Rücken Legen und Strecken der Hintergliedmaße häufig leidlich toleriert. Das Ergebnis sind oft nicht nur asymmetrisch abgebildete Hüftgelenke sondern auch scheinbar recht stabile Gelenke. Ein Trugschluss! Durch die spezielle Lagerung bei der HD-Aufnahme verdrehen sich nämlich Gelenkkapsel, Bänder und Muskulatur und täuschen stabile Gelenkverhältnisse vor.
Stress-Röntgenaufnahmen zur Früherkennung der HD
Eine gute Frühdiagnostik erfordert zwei Röntgenaufnahmen: eine in klassischer HD-Lagerung und eine zweite als Stressaufnahme. Dabei wird ein Sandsack oder Holzkeil zwischen die Hinterbeine gelegt und durch Zusammendrücken der Kniegelenke eine auswärts gerichtete Kraft auf beide Hüftgelenke ausgeübt. Mit dieser einfachen Methode lässt sich eine eventuelle Instabilität der Hüftgelenke nachweisen. Sie ist übrigens nicht abhängig von der angewandten Kraft. Die Oberschenkelköpfe lassen sich bereits durch leichte Kompression nach außen luxieren. Die Unterschiede zwischen beiden Aufnahmen sind oft frappierend: da eine als „normal" erscheinende Hüfte und dort ein stark luxierter Oberschenkelkopf. Fachleute berechnen anhand der Stressaufnahmen einen Instabilitätsindex, der Aufschluss über den Schweregrad der HD geben soll. Diese Unterschiede erklären vielleicht, warum manche Hunde, die beim offiziellen HD-Röntgen als „HD-frei“ klassifiziert wurden, im Laufe der Jahre dennoch eine schwere HD mit Arthrose der Hüftgelenke entwickeln können. Beim HD-Verfahren wird bekanntlich keine Stressaufnahme durchgeführt.
Vorröntgen eines Junghundes: Die Wachstumsfugen (Epiphysenfugen, siehe Pfeile) sind offen. Dies ist ein untrügliches Kennzeichen dafür, dass das Skelettwachstum noch niccht abgeschlossen ist. Ganz wichtig: zur exakten Lagerung ist immer eine Kurznarkose erforderlich.
Vorröntgen eines Junghundes in konventioneller Technik. Die Hüfte erscheint stabil. Das ist ein Trugschluss!
Vorröntgen: desselben Hundes mit Stresstechnik: Durch unsere spezielle Stress-Röntgentechnik, die die natürliche Belastung der Hüftgelenke nachahmt, wirkt eine leicht auswärts ziehende Kraftkomponente auf die Hüftgelenke ein und bringt die traurige Wahrheit an das Licht: Der Hund leidet an einer hochgradigen Hüftgelenksdysplasie.
Vor-Röntgen nur etwas für Züchter und Hundesportler?
Aus vielerlei Gründen ist das früher sehr etablierte Vor-Röntgen aus der Mode gekommen. Dennoch ist hervorzuheben, dass dieses die einzige Möglichkeit der Früherkennung eines später verhängnisvollen Hüftgelenksleidens darstellt. Deshalb ist das Vor-Röntgen jeder Tierbesitzerin und jedem Tierbesitzer auch wenn er nur einen leisen Verdacht hegt dringend ans Herz zu legen. Wird nämlich eine Lockerheit der Hüfte bzw. die Anlage zur Dysplasie bereits im Alter von 4 - 9 Monaten gestellt, so kann mit entsprechenden Therapiemaßnahmen bereits beim noch wachsenden Hund begonnen werden. In vielen Fällen kann damit erreicht werden, dass der Hund ein lebenslang funktionales und schmerzfreies eigenes natürliches Hüftgelenk erlangt und später keine Hüftgelenksprothese benötigt. Wenn das goldene Zeitfenster zwischen 4 Monaten und maximal 2 Jahren verfehlt wird, entwickelt sich beim instabilen Gelenk unweigerlich eine verhängnisvolle Arthrose, die nur schwer in den Griff zu bekommen ist.
Was tun bei lockerer Hüfte bzw. HD?
Wenn eine Hüftgelenksdysplasie beim Junghund diagnostiziert wurde, ist dies für die meisten Tierbesitzer zunächst einmal ein schwerer Schock. Oft verbunden mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und eigenen Schuldgefühlen. Dabei kann niemand etwas für die Diagnose. Nicht die Tierärzte, die zu fest an den Gelenken gezogen haben, noch die Hundehalter, die den Hund völlig falsch behandelten oder Treppensteigen ließen. Leider hört man immer wieder den Rat, der Hund müsse wegen der schlimmen Diagnose sofort eingeschläfert werden um ihm weiteres Leiden zu ersparen. Stimmen Sie einer solchen unumkehrbaren Entscheidung niemals spontan zu! Es geht um das Leben eines jungen, Ihnen ans Herz gewachsenen Familienmitglieds, das nicht unüberlegt weggegeben werden sollte. Überschlafen Sie Ihre Entscheidung und holen Sie sich eine zweite medizinische Meinung z. B. bei einem Spezialisten ein. Ideal wäre natürlich, die Spreizhosen-Therapie von Neugeborenen auf den Hund zu übertragen. Das wurde selbstverständlich bereits versucht, allerdings ohne Erfolg. Welpen und Junghunde tolerieren solche Maßnahmen einfach nicht.
Umstellungsosteotomien des Beckens bei HD
Wenn das Zeitfenster nicht verfehlt wurde, bestehen beim Junghund recht gute Aussichten die fehlentwickelten Hüftgelenke zu stabilisieren. Leider geht das nicht ohne eine Operation. Dabei wird der Pfannenanteil des Hüftgelenks um einen zuvor genau bestimmten Winkel rotiert und in dieser Stellung mit einer speziellen Winkelplatte fixiert. Die Folgen sind ein tiefer Sitz des Oberschenkelkopfes in der Hüftgelenkspfanne und eine Vervierfachung der tragenden Knorpeloberfläche. Diese Operation wird übrigens auch in der Humanmedizin durchgeführt. Sie heißt „Dreifache Beckenosteotomie" oder kurz „DBO". Sie ahmt gleichsam den Spreizhoseneffekt nach. Der „Clou" liegt darin, dass der nun wieder fest in der Pfanne sitzende Oberschenkelkopf einen formativen Reiz auf die noch wachsenden Hüftgelenksstrukturen auslöst und sich immer tiefer in die ursprünglich zu flache Pfanne hineinmodelliert. Die Dreifache-Beckenosteotomie ist ein bei uns leider noch viel zu wenig bekanntes Verfahren, obwohl es seit Jahrzehnten erfolgreich durchgeführt wird und international anerkannt ist. Allerdings ist dies ein Eingriff, der operationstechnisch nicht ganz einfach ist und deshalb in besonders erfahrene Hände gehört, um Komplikationen zu vermeiden. Hier ist also die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Haustierarzt und Spezialisten gefordert.
Dreifache Beckenosteotomie (DBO): Durch Umstellung des Pfannensegments (Rotation um 30°) ergeben sich normale und gesunde Gelenkverhältnisse. Das natürliche Hüftgelenk ist gerettet und funktioniert problemlos über ein ganzes langes Hundeleben.
Fazit
Durch das Vor-Röntgen unter Verwendung von Stress-Aufnahmen können wir die in jedem Junghund lauernde Gefahr einer Hüftgelenksdysplasie rechtzeitig erkennen und den Besitzer auf ein richtiges Verhalten und die mögliche Behandlung hinweisen. Deshalb ist ketzerisch gesagt das Vor-Röntgen von wesentlich höherem Wert als das Haupt-Röntgen.
Anschrift des Autors
Dr. Dieter Müller
Fachtierarzt für Kleintiere, Chirurgie, Augenheilkunde
Kempener Str. 59
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